Spektakuläre Architektur inmitten braver Wohnblocks
Gespräch mit Christian Zeigermann, Geschäftsführer der Gebäude- und Wohnungsbaugesellschaft

 

Vier Jahre ist es her, seit Christian Zeigermann die Geschäftsführung der Gebäude- und Wohnungsbaugesellschaft Wernigerode GWW übernommen hat. Zeit für ein erstes Resümee. Beginnen wir mit dem ganz großen Brocken, der Unternehmensentwicklung: 2022 betrug der Wert der Gesellschaft, bestehend im Wohnungsbestand, 84 Millionen Euro, 2022 waren es 104 Millionen Euro, und bis Ende 2025 werden 130 Millionen Euro erwartet. So zahlt sich die permanente Arbeit am Bestand aus, die sanierten Wohnungen schlagen als Wertzuwachs zu +Buche. Lag der Leerstand 2020 bei neun Prozent der Wohnungen der GWW, so waren es 2023 nur noch fünf Prozent. Zahlen, auf die Christian Zeigermann stolz sein kann. „Für mich ist das Glas immer halbvoll“, so begründet er die Erfolge der Gesellschaft. Eine von Grund auf positive Einstellung, nach vorn gerichtet und visionär, und der Mut, Neues zu wagen – selbst auf die Gefahr einer Bauchlandung hin –, das zeichnet ihn aus. Sein Start in Wernigerode fiel in unruhige Zeiten; Corona, Ukrainekrieg und die dadurch ausgelösten Krisen haben viele Gewissheiten ins Wanken gebracht. „Ich vergleiche unsere Welt mit einem ordentlich sortierten Karton. In den letzten Jahren wurde er kräftig durcheinandergeschüttelt. Jetzt ist die Frage: Schlagen wir die Hände überm Kopf zusammen und geben uns die größte Mühe, alles wieder an seinen alten Platz zu räumen, oder begreifen wir das Chaos als Chance, Neues zu probieren?“ Keine Frage, wofür Zeigermann steht. Er sieht sich als Kopf der städtischen Tochtergesellschaft in der Verantwortung, es mit den neuen Bedingungen aufzunehmen.

 

Energie

 

Die Energieversorgung ist zu einem neuralgischen Punkt geworden. Die erste Antwort der GWW: All ihre Dächer in der Burgbreite, im Stadtfeld und im Harzblick werden mit Photovoltaikanlagen (PV) ausgestattet. Das geschieht sozusagen geschwisterlich, zusammen mit den Stadtwerken, ebenfalls einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Stadt. Der Strom, der auf den Dächern gewonnen wird, kommt den Mietern zugute; Sonnenenergie kostet, abgesehen von der Anschaffung der Anlagen, nichts, und das wirkt sich auf den Strompreis aus. Der „Mieterstrom“ ist 20 Prozent billiger, der Preis gleichbleibend. Ein aussichtsreiches Experiment hat die GWW am Pappelweg mit dem Sonnenhaus gestartet. „Wer, wenn nicht eine städtische Gesellschaft, sollte so ein Wagnis eingehen?“ Mit Dächern, die auf die Sonne ausgerichtet und flächendeckend mit PV bestückt sind und deren Pufferspeicher die Sonnenenergie bis zu drei Wochen halten kann, sollen die 15 Wohnungen von April bis November allein von der Sonne leben. Außerhalb dieser Zeiten wird bei Bedarf mit günstigen Holzpellets geheizt, dann läuft der Zähler. Jeder der 15 Mieter hat seine eigene PV auf dem Dach und kann so kann eins zu eins und „in echt“ seinen Verbrauch kontrollieren. „Wer pfiffig ist“, so Zeigermann, „der verlegt die energieintensiven Arbeiten (Geschirrspüler, Waschmaschine usw.) auf die Stunden, wo Sonnenschein zu erwarten ist, verbraucht also den meisten Strom, wenn er quasi kostenlos vom Himmel kommt!“ So wird das Sonnenhaus weitgehend autark, aus eigener Sonnenkraft, funktionieren. Experimentell sind auch die beiden Wohnanlagen am Gießerweg und am Veckenstedter Weg angelegt, die im Europäischen Architekturwettbewerb EUROPAN das Rennen machten. Während für die Energieversorgung am Veckenstedter Weg ein Eisspeicher genutzt werden soll, ist für den Gießerweg eine Kombination aus Fernwärme und Solarenergie geplant. Nach fünf Jahren soll dann eine erste Bilanz erweisen, welches die effektivste Anlage ist. Nicht nur durch ihre energetische Modernität eröffnen die genannten Neubauten ein neues Bauzeitalter. Die Häuser haben ganz andere Zuschnitte, viel mehr Glas, das inzwischen nicht weniger isoliert als die Wände, und auch ein schön gestaltetes Wohnumfeld wird mittlerweile als wichtige Komponente modernen Wohnens begriffen. „Je mehr grüne Wärme, desto niedriger die Kosten für Dämmung und desto günstiger auch die Mieten“, erklärt Zeigermann. Für die Mieter ist das durchaus ein gewichtiger Aspekt.

 

Sanierung

 

Natürlich ist es spannend, neu zu bauen, und zwar nicht ausufernd auf der grünen Wiese, sondern inmitten der braven Blocks oder der Einfamilienhäuser aus den 40er bis 60er Jahren, dort mit spektakulärer Architektur überraschend funkelnde Akzente setzend. Doch die übergroße Mehrheit der Wohnungen, mehr als 70 Prozent, befinden sich in der „Platte“. Hier wurde und wird energetisch saniert und zum Teil auch schon beherzt modernisiert. Die Platte wird zu einem attraktiven Wohnort gemacht. Für dieses Jahr stehen der hinterste Block der Karl-Marx-Straße und vier Blocks in der Ernst-Pörner-Straße zur energetischen Sanierung an. Die Fassaden werden von außen isoliert und in verschiedenen Farben gestrichen. Die Malerei von Moritz Götze aus Halle an der Giebelwand der „Welle“ und die Skulptur am Walther-Grosse-Ring sind Ausdruck des Bestrebens der GWW, der Kunst am Bau wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ein großes Thema besteht auch in der Leerstandsanierung. „Immer mehr Wohnungen von Erstmietern aus den 70er Jahren werden jetzt aus Altersgründen frei. Die vermieten wir nicht in dem Zustand von vor 50 Jahren möglichst billig, sondern bringen sie auf den neuesten Stand.“ Grundrisse werden verändert, aus schmalen Küchen- und Badschläuchen werden wohnliche Räume, indem ein Zimmer zu Hilfe genommen wird, und vieles mehr. „Neue Mieter stehen fast Schlange nach den sanierten Wohnungen und zahlen für den Komfort auch gerne mehr Miete. Werden Erdgeschoßwohnungen frei, achtet aber unsere Prokuristin Kristin Grunewald darauf, sie im Fall des Falles zuerst älteren Mietern anzubieten, die im 4. oder 5. Stock wohnen und die Treppen nicht mehr bewältigen können. Ein Umzug ins Erdgeschoß ist in vielen Fällen eine gute Alternative zum Heim“, erklärt Zeigermann. Und kommt auf eine grundsätzliche Frage an die Bundesregierung zu sprechen: Warum gibt es keine Förderung für Aufzüge an Wohnblocks? Viele ältere Menschen würden gern im vertrauten Umfeld eigenständig bleiben, wenn das Treppensteigen nicht wäre. Unterm Strich wäre es allemal günstiger, einmalig in einen Aufzug zu investieren, als die stetig ansteigenden Heimkosten zu bezuschussen. Auch mit Blick auf den Mangel an Pflegekräften wäre es sicher sinnvoll, die Menschen blieben in ihrer Wohnung und würden bei Bedarf von einem Pflegedienst versorgt.

 

Handwerker

 

…ein leidiges Thema. Zu DDR-Zeiten war es üblich, dass die Wohnungsgesellschaften ihre eigene Handwerkerschar hatte. Nach der Wende war es bequemer, Firmen zu beauftragen, aber jetzt kehrt sich das wieder um. Immer mehr kleine Handwerksbetriebe melden ihr Gewerbe ab, oft, weil sich kein Nachfolger findet. So stand auch das Ende der Reddeberaner Firma Interbau bevor, denn der Junior Johannes Bittner stand als Nachfolger nicht zur Verfügung. Per Zufall drang das ans Ohr von Christian Zeigermann – und welch ein Glück! Der Aufsichtsrat der GWW stimmte der Idee zu, Interbau zu übernehmen, zumal, wie die Prokuristin wusste, dieser Betrieb schon sehr viele Aufträge für die GWW ausgeführt hat, also bestens mit der Materie vertraut ist. Jetzt kann sich Zeigermann freuen, ihm stehen jetzt fast alle Gewerke zur Verfügung, als Elektromeister ist auch Bittner junior dabei. Nur ein Dachdecker und ein Haustechniker müssen noch gefunden werden. Wenn jetzt eine Reparatur anfällt, gibt es für die Mieter nur eine Telefonnummer, die Suche nach Handwerkern entfällt. Der Teamleiter des „Regiebetriebs ist übrigens ein Eigengewächs der GWW. Oliver Kratzke hatte im Juni 2020 als Hausmeister begonnen und krönt mit dieser verantwortungsvollen Funktion seine Karriere.

 

Ausblick

 

Wie weiter im Wohnungsbau? Zeigermanns Antwort ist eindeutig: Die Stadt sollte nicht noch weiter in die Breite wachsen, zusätzliche Bodenverdichtung muss, vor allem unter Aspekten des Klimawandels, vermieden werden – das Gegenteil wäre nötig. Sinnvoll findet er Nachverdichtung. Aufgabe der Stadtplanung ist demnach, Baulücken und Flächen innerhalb der Stadt aufzuspüren, auch Aufstockungen zu erwägen. Der Flachbau des Edekamarktes direkt vorm Fenster seines Büros in der Burgbreite ist mit seiner üppigen Ausdehnung ein typisches Beispiel dafür.

 

Quelle (Text): Neue Wernigeröder Zeitung, Ausgabe 03-2024 vom 7. Februar 2024
Quelle (Bild): Polyluchs Kreativagentur